Ein Bericht aus der Neue Zürcher Zeitung vom 09.01.2023 Seite 22

Dass grosse Beraterfirmen wirtschaftlichen Einfluss ausüben, ist unbestritten. Ein Ex-McKinsey-Berater umschreibt die angebliche Machtfülle seines ehemaligen Arbeitgebers folgendermassen: «Diejenigen, die glauben, dass im Geheimen agierende Ränkeschmiede die Welt kontrollieren, haben üblicherweise Illuminaten oder ‘Globalisten’ im Verdacht. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt keinen Geheimbund, der den Weg bestimmt, den die Geschichte der Mensch-heit nimmt. Aber es gibt McKinsey & Company.» Hinter der eher scherzhaften Äusserung verberge sich eine ernste Wahrheit, halten die beiden Investiga-tivjournalisten der «New York Times», Walt Bogdanich und Michael Forsythe, in ihrem jüngst veröffentlichten Buch «When McKinsey Comes to Town: The Hidden Influence of the World’s Most Powerful Consulting Firm» fest.

Korruption und Opioidkrise

McKinsey sitze bei den wichtigsten Unternehmen und Regierungen der Welt stets unsichtbar mit am Tisch, schreiben die Autoren. Die Firma habe öffentliche Gesundheitsprogramme untergraben, sich in den Dienst des saudi-schen Staates gestellt sowie dubiose Berateraufträge in Südafrika unter der ehemaligen Regierung Zuma getätigt, die das Staatswesen in einen Selbstbedienungsladen für korrupte Geschäftsleute verwandelt habe. Ausführlich wird auch McKinseys Rolle im Opioidskandal als Berater von Purdue Pharma beschrieben: Sie habe die Pharmafirma massgeblich dabei unterstützt, ihre Vertriebsmaschinerie auf Touren zu bringen. Die Folge der aggressiven
Vertriebsstrategie von Purdue und anderen Pharmafirmen war eine verhängnisvolle, landesweite Schmerzmittelsuchtkrise mit Hunderttausenden von Toten. Zur Beilegung von Klagen wegen seiner Beratertätigkeit bei Purdue hat McKinsey im zurückliegenden Jahr einem Vergleich über fast 600 Millionen Dollar zugestimmt – ohne dabei ein Schuldeingeständnis einzugehen. In den vergangenen Jahren bezahlte das Unternehmen ausserdem 15 Millionen Dollar ans US-Justizministerium wegen angeblicher Interessenkonflikte im Falle von Firmenkonkursen. In Südafri-ka läuft gegen die Firma eine Klage – im Zusammenhang mit ihrer Rolle im grössten Korruptionsskandal des Landes. McKinsey bestreitet die Vorwürfe, die ihr zur Last gelegt werden. Auch ihre Konkurrenten sind mit diversen Skandalen konfrontiert. So wurde Bain & Company laut der «New York Times» für zehn Jahre die Teilnahme an öffentlichen Aufträgen in Südafrika verboten, weil die Firma während der Amtszeit von Zuma mit dem Steueramt des Landes zusammengearbeitet hatte. In Frankreich ist Präsident Emmanuel Macron unter Beschuss geraten, nachdem im Frühjahr bekannt-geworden war, dass die Regierung Mandate in grösserem Umfang an Accenture, Boston Consulting Group (BCG), McKinsey und andere Unternehmen vergeben hatte. Im Falle McKinsey laufen in Frankreich derzeit drei Verfahren: Die Justiz ermittelt wegen Verdachts der Steuerhinterziehung und allfälliger Günstlingswirtschaft sowie wegen mutmasslich nicht korrekt abgerechneter Beratungsdienstleistungen im Wahlkampf von Macron. Obwohl das Image von McKinsey und Co. stark gelitten hat, boomt das Beratergeschäft. In der Schweiz gibt es kaum einen Grosskonzern, der nicht auf die Dienstleistungen von externen Beratern zurückgreift. Bei der Ausarbei-tung der neuen Strategie der Credit Suisse standen gleich mehrere Firmen im Dienst der Bank. In den Medien genannt werden McKinsey, Oliver Wyman, Deloitte sowie die Investmentberatungsfirma Centerview.

Christoph Lechner, Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft der Universität St.Gallen, spricht von einem gigantischen Markt. Tatsächlich dürfte sich der Umsatz der drei Grossen (McKinsey, BCG und Bain) seit 2010 welt-weit auf rund 30 Milliarden Dollar verdreifacht haben. «Dividiert man den heutigen Umsatz durch die 70 000 Beschäftig-ten der drei Firmen, ergibt dies mehr als 400 000 Dollar pro Berater», rechnet Lechner vor. Seit zwanzig Jahren wachse die Branche praktisch ohne Unterbruch. Als ehemaliges Verwaltungsratsmitglied des Versicherers Helvetia und Ex-Vizepräsident des Lebensmittelherstellers Hügli kennt er den Beratermarkt nicht nur von der
akademischen Seite her, sondern auch als Auftraggeber, der bei diversen Projekten Beraterdienstleistungen in Anspruch genommen hat.

Über den Tellerrand hinaus

«Bei Helvetia mussten wir vor zwei Jahren 50 Millionen Franken abschreiben, weil wir ein IT-Projekt intern nicht zustande gebracht haben», erzählt Lechner. «Das Team von Accenture, das wir danach für teures Geld engagiert haben, hat es hingegen auf die Reihe bekommen und den Auftrag erfolgreich zu Ende gebracht.» Viele Firmen seien heutzutage dermassen schlank und auf Effizienz getrimmt, dass sie solche Projekte gar nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen könnten. Auch bei der Erarbeitung der Strategie hat Helvetia teilweise die Dienstleistungen externer Berater in Anspruch genommen, um neue Impulse zu erhalten, wie das ehemalige VR-Mitglied ausführt.
Führungskräfte greifen gerne auf externe Berater zurück, weil diese in der Regel über grosse Erfahrung verfügen, die über den Tellerrand von einzelnen Firmen oder Branchen hinausgeht. Sie haben die geeigneten Methodolo-gien, um Projekte umzusetzen, und auch das Know-how über Verfahren, die sich in der Praxis bewährt haben. Ausserdem schätzen Führungskräfte vor allem auch den objektiven Blick von aussen, den die Berater mitbringen. «Intern gibt es häufig wenige Personen, mit denen sie offen und klar sprechen können», sagt Lechner auch mit Blick auf seine eigenen beruflichen Erfahrungen. Und nicht zuletzt werden Beratungsdienstleistungen auch dazu genutzt, Machtansprüche sowie Veränderungsprozesse durchzusetzen. Mit dem Gütesiegel McKinsey bekommen Projekte eine erhöhte Legitimation, was deren Durchsetzungschancen innerhalb des Unternehmens erhöht.
Ob es den Return on Consulting aber tatsächlich gibt, darüber streiten sich die Experten. Den Mehrwert könne man nicht messen, weil es in der Regel Tausende von Faktoren gebe, die auf eine Firma und ihren Geschäftsgang einwirkten, sagt Lechner. Eine Ausnahme bildeten Projekte mit strikten Zielvorgaben – beispielsweise ein klar definiertes Kostensenkungsprogramm über fünf Jahre in der Höhe eines bestimmten Betrages. In der Regel zeigt sich allerdings erst mit grosser zeitlicher Verzögerung, ob die vorgeschlagenen Massnahmen der Berater erfolgreich waren oder nicht. Und nicht selten verschwinden die Projekte und Powerpoint-Vorschläge nach kurzer Zeit in den Schubladen des Managements und werden nie umgesetzt.

Makel Niedergang der Swissair

Das Beratungsgeschäft ist nicht nur lukrativ, sondern auch hochkompetitiv. Entsprechend gross ist auch der Verkaufsdruck. Partner der grossen Beraterfirmen müssen heute laut Lechner sieben bis zehn Millionen Dollar Umsatz pro Jahr generieren. «Sie sind stark Sales-getrieben und permanent am Überlegen, wo und wie sie den Kunden weitere Dienstleistungen verkaufen könnten», führt er aus. Dass der Verkaufsdruck gross ist, bestätigt auch Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Vor allem BCG habe sein Vertriebsmodell in Deutschland sowie in der Schweiz im Vergleich mit früheren Jahren aggressiver ausgestaltet: Das Motto der Beraterfirma laute «Wachstum, Wachstum, Wachstum». Das werde den Beratern selbst auf unterster Stufe eingebleut. Auch McKinsey ist laut Fink auf Wachstum getrimmt, doch die Bereitschaft, ein Projekt auch einmal abzulehnen, sei grösser als bei BCG. McKinsey schere sich auch nicht darum, ob ein Kunde sich über seine Empfehlungen freue oder ob er damit vor den Kopf gestossen werde. Seit über zwanzig Jahren verfasst Fink als Geschäftsführer des Forschungsinstituts WGMB in Bonn sogenannte Rankings zum deutschen Beratermarkt. Sie stützen sich auf die Einschätzung von über tau-send Führungskräften ab. Ganz oben rangiert hierbei auch in diesem Jahr McKinsey mit kleinem Abstand zu BCG, der Nummer zwei. Seit einigen Jahren erstellt das Forschungsinstitut zusammen mit der «Bilanz» ein solches Ranking auch für die Schweiz. Bei der jüngsten Erhebung 2022 landete BCG auf Rang eins und McKinsey auf Platz zwei. Das Ergebnis ist für die Beraterfirmen unerwartet schmeichelhaft, wie Fink ausführt: Die Rückmeldungen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland seien sehr positiv. «Die Kunden sind mit den Dienstleistungen der grossen Beraterfirmen zufrieden und attestieren ihnen Kompetenz», sagt der Experte. Wie passt das zum negativen Image, das diesen – allen voran McKinsey – in der Öffentlichkeit anhaftet? «An McKinsey prallt enorm viel ab, die Marke ist sehr belastbar», lautet die Erklärung von Fink. «Die Kunden der Firma, mit denen ich spreche, sagen mir, dass sie die beste Lösung wollen. Und wenn sie diese von McKinsey erhalten, sind ihnen allfällige Skandale, in die die Firma involviert sein soll, egal.» Eine Ausnahme gibt es allerdings mit Blick auf den Schweizer Markt. Die Beratertätigkeit für die Swissair von McKinsey, die die Fluggesellschaft vor gut 25 Jahren sowie deren desaströse Hunter-Strategie unterstützte, habe der Marke in der Schweiz geschadet, sagt der HSG-Professor Lechner. Der Niedergang der Swissair hafte McKinsey nach wie vor an. «Das ist meiner Ansicht nach auch der Grund, weshalb die Firma in der Schweiz heute nicht grösser ist als BCG. Da sind nach wie vor Schleifspuren vorhanden», sagt Lechner überzeugt. Noch vor zwanzig Jahren konnten die Partner der Beraterfirmen relativ selbständig entscheiden, welche Aufträge sie ausführten oder eben nicht. Inzwischen haben beinahe alle Unternehmen interne Prüfungskomitees installiert, die potenzielle Projekte und allfällige Reputationsrisiken prüfen. Bei grösseren Aufträgen sind oftmals drei bis fünf verschiedene Partner beteiligt – um Alleingänge oder die Abwerbung und Monopolisierung von Kunden durch einzelne Partner zu verhindern. Aber auch so kann offenbar noch einiges schiefgehen, wie die jüngsten Skandale offenbaren.

Qualifizierte Temporärarbeiter

Laut dem Beraterexperten Fink hat sich auch das Geschäftsmodell in den vergangenen Jahren stark verändert. Früher hätten die Firmen sich vor allem auf die Strategieberatung fokussiert. Heute beschäftigten sie sich zu einem Grossteil mit operativen Projekten. Die Berater seien damit oftmals nicht mehr in erster Linie in beratender Funktion tätig, sondern übernähmen operative Aufgaben innerhalb des Unternehmens – und fungierten damit als qualifizierte Temporärarbeitskräfte. Diese Entwicklung führt der Professor der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg unter anderem auf den herrschenden Fachkräftemangel zurück. Viele Firmen neigten aufgrund personeller Restriktionen dazu, Arbeiten an externe Berater auszulagern. Problematisch sei, dass bei solchen Tätigkeiten das intellektuelle Kapital der Berater nicht oder nur am Rande zur Geltung komme. Die Kunden erhielten eine Dienstleistung, die sie auch selbst hätten erbringen können, wenn die erforderlichen Mitarbeiter vorhanden gewesen wären. Damit ändere sich die Wahrnehmung der Beratung gegenüber. Eine Rolle für den Wandel im Beratungsgeschäft spielen aber vor allem auch die veränderten Bedürfnisse der Firmen, die im Zeitalter von Algorithmen und künstlicher Intelligenz neue Geschäftsmodelle benötigen. Die Kunden seien auf die Unterstützung der Berater angewiesen, wenn sie beispielsweise eine neue digitale Plattform bauen wollten – nicht nur bei der strategischen Ausarbeitung, sondern bis hin zur Implementierung, führt Lechner aus. Auch deshalb seien Beraterfirmen verstärkt im Tagesgeschäft der Kunden involviert. Fest steht jedenfalls, dass ihnen die Arbeit nicht so schnell ausgehen wird. Ebenso offensichtlich ist aber, dass die jüngsten Skandale einen Reputationsschaden hinterlassen haben. Jüngst sprach sich sogar der wirtschaftsliberale «Economist» in einem Leitartikel für vermehrte Transparenz im Beratermarkt aus. Als Schutz gegen eine Explosion von Falschberatungen sollten Firmen ihre Beträge für Berater offenlegen – wie sie dies bei Dienstleistungen von Wirtschaftsprüfern und teilweise auch Investmentbankern bereits täten. Dass solche Informationen im Geschäftsbericht enthalten sein sollten, leuchtet durchaus ein. Schliesslich geht es nicht selten um Millionenbeträge, über die Aktionäre informiert sein sollten. Solche Forderungen wie auch diejenige nach einem branchenweit verpflichtenden Code of Conduct dürften es aber schwer haben. Der Druck auf die Beraterfirmen ist trotz Skandalen und schlechter Publizität gering. An McKinsey und Co. prallt tatsächlich so einiges ab.